Eine achttägige Reise nach Zanzibar voller Kontraste
Ein Afrikaner, ein Südkoreaner und drei Deutsche fahren in einem Auto abends durch Zanzibar… Was wie der Beginn eines klassischen Witzes klingt, wurde am zweiten Dezemberwochenende Realität. Als diese Kombination dann auch noch in einer dunklen Seitenstraße irgendwo im Süden der zanzibarischen Hauptinsel Unguja vor einer Schule hält und ca. 20 Schulmädchen freudestrahlend auf sie zustürmen, weil ihr ehemaliger Lehrer in diesem Auto sitzt, ist spätestens klar: dies ist alles andere als ein Witz. Es ist real und einer dieser emotionalen Momente, der nachhallt und meinen Zanzibartrip unvergessen machen wird. Aber dazu später mehr.
Doha, Hamad International Airport, 07. Dezember 2023, Mitten in der Nacht.
„Wo seid Ihr?“ schreibe ich Philipp und Annika, da kein WhatsApp-Call und kein normales Telefonat möglich ist. Die beiden sind in Berlin abgeflogen, ich hingegen aus Frankfurt. Wir treffen uns in Doha, um unser gemeinsames Abenteuer Zanzibar zu starten. Philipp kenne ich erst seit seinem Tischtennis-Lehrgang bei uns in Steinheim im Mai persönlich. Damals saßen wir bei mir auf dem Balkon und philosophierten über Tischtennis und wie dieser Sport Anderen helfen kann. Philipp wollte das Wissen seiner Profi-Karriere schon immer auch an diejenigen weitergeben, die keinen Zugang dazu haben. Ich unterstütze seit 2,5 Jahren einen Tischtennisverein auf Zanzibar. Wir zählten 1+1 zusammen und wenige Wochen später war unsere Reise geplant und gebucht.
Von seiner Freundin Annika habe ich weder ein Bild vor Augen noch irgendeine Ahnung, wer mich erwartet. Sie seien im „Polo – Ralph Lauren“-Shop, also mache ich mich auf die Suche. Nach einer kurzen Orientierungsphase stehe ich vor dem Laden. Doch ich sehe Philipp nicht. Dafür aber eine junge, dunkelhaarige Frau, die sich beraten lässt. Ist das Annika und Philipp vielleicht gerade in der Umkleidekabine? Schnell stellt sich heraus, dass beides nicht der Fall ist. Aber wo zum Teufel sind die beiden dann? Gibt es zwei dieser Shops? Offensichtlich ja. Es wird noch eine ganze Weile dauern bis die beiden endlich auf mich zugelaufen kommen und wir uns treffen. Meine Fragen in Bezug auf Annika sind vom ersten Augenblick beantwortet. Sie ist mir sofort sympathisch, sie ist offen und versteht jede Menge Spaß. Wir entscheiden uns für einen gemeinsamen Kaffee direkt am flughafeninternen Mini-Wald. Ein Wald in einem Flughafen? Ja, der erste größere Kontrast von vielen, die noch vor uns liegen werden. Unser Abenteuer kann beginnen. Wir sind mit die Letzten, die zum Boarding kommen. Spät dran seien ist etwas, woran ich mich bei den beiden gewöhnen werden muss.
Kontraste die Zweite. Ich habe mir für den Flug von Doha ein Upgrade in die Business Class gegönnt, in der Hoffnung den Nachtflug schlafend verbringen zu können. Neben mir sitzt ein Mann, der von der Statur her durchaus als Running Back in der NFL antreten könnte. Wir kommen schnell ins Gespräch. „Osi“ ist Mitte 30, verheiratet, hat eine Tochter, ist in Nigeria geboren und aufgewachsen, hat mehrere Jahre in England gelebt und ist inzwischen als Berater in New York tätig. Er ist auf dem Weg zu einer Hochzeit eines Freundes. Es sind Begegnungen und Gespräche wie diese, die ich einfach liebe, weil es es mich an das Gute im Menschen und die Vielfalt auf dieser Welt glauben lassen. Aus den geplanten 6h Schlaf werden am Ende rund 3,5h. Aber der Austausch mit Osi ist es mir wert. Ihm offensichtlich auch.
Auf Zanzibar angekommen, geht alles ganz schnell. Die Pass- und Visumkontrolle verläuft reibungslos und die Koffer liegen auf dem Kofferband schon bereit. Kleine Flughäfen haben einfach Vorteile. Osi ist schneller gewesen und ich verliere ihn aus den Augen ohne mich verabschieden zu können. Wir verlassen das Terminal. Es sind locker 30 Grad Temperaturunterschied zu Deutschland, ein weiterer extremer, aber angenehmer Kontrast. Während Philipp und Annika auf den Hotelshuttle warten, da sie eine Pauschalreise gebucht haben, halte ich nach Steven Ausschau. Steven ist aus Südkorea. Ja genau, ein weiterer Kontrast. Seine Eltern haben vor über 20 Jahren eine Hilfsorganisation in Zanzibar gegründet. Daraus ist die Zanzibar Eden School entstanden, die von Stevens Mutter Mrs. Kim geleitet wird. Mit Khalid vom Racket Table Tennis Club ist durch die Verbindung zum Tischtennis eine Freundschaft entstanden und dadurch auch die Verbindung zu mir. In der – für Zanzibar luxuriösen Sporthalle – der Eden School werden ab und zu Turniere veranstaltet. Steven erwartet mich pünktlich vor dem Terminal und es kann losgehen. Er ist Anfang 30, verheiratet und hat zwei kleine Töchter und ein unfassbar angenehmer Zeitgenosse. Vor lauter Erzählen nehme ich die Umgebung noch gar nicht richtig war. Plötzlich kommt uns ein Polizeimotorrad mit Vollgas auf der Straßenmitte entgegen. Die Autos vor uns fahren zur Seite, aus gutem Grund. Rund 15 Geländewagen rasen mit Vollgas und Blaulicht an uns vorbei. Es ist die Eskorte des Präsidenten von Zanzibar. „Karibu sana“ – Welch eine Begrüßung.
Kontraste, die Nächste. Ca. 3km vor dem Ziel biegen wir plötzlich auf eine mehrspurige Straße mit unzähligen Laternen ab. Sie sieht aus wie eine Autobahn oder eine Start- und Landebahn für Flugzeuge. Sie endet nach ca. 2km wieder, macht keinerlei Sinn und passt überhaupt nicht ins Landschaftsbild. Offensichtlich wurde sie für eine Neubausiedlung am Ende der Straße angelegt, die von einem deutschen Unternehmen gebaut wird. Also doch eher Autobahn. Der Zufahrtsweg von der Straße zum Hotel ist der nächste Kontrast und ein Vorgeschmack für alle weiteren Seitenstraßen auf der Insel. Schlaglöcher ohne Ende, in denen sich das Wasser der letzten Regenfälle sammelt. Slalomfahren ist angesagt. Im Gegensatz zu deutschen Städten wäre hier ein SUV oder Geländewagen durchaus angebracht.
Im Hotel angekommen habe ich keine andere Wahl als zu entschleunigen. Bereits beim Aussteigen aus dem Auto nehme ich die Ruhe wahr. Die zwei Damen von der Rezeption heißen mich willkommen. Edna von der Rezeption führt mich herum und erklärt mir die Anlage. Sie hat eine gaaaaaaaaaanz ruhige und entspannte Art an sich, die sich auch in ihrer angenehmen Stimme widerspiegelt. Stressen lässt sich hier keiner. Die Bungalowanlage ist in einen kleinen Urwald direkt am Strand eingebettet. Ich fühle mich sofort an meinen Wecker erinnert, der Vogelgezwitscher und Wellenrauschen imitieren kann. Nur ist das hier Realität. Ich erblicke den kleinen Pool, das Meer und bin sofort angekommen. Da mein Bungalow noch nicht bezugsbereit ist, setze ich mich an den Frühstückstisch im offenen Restaurant mit Blick auf Pool und Meer und lasse Fünfe gerade sein. Welch ein Kontrast zum Alltag in der Heimat.
Etwas später kommen auch Annika und Philipp an. Ihre Gesichter lassen keinen anderen Schluss zu, als dass sie genau das Gleiche denken wie ich: „Willkommen im Paradies“. Nach dem Frühstück schlendern wir durch die Anlage und lernen einige unserer Mitbewohner der nächsten Tage kennen: Affen. Wie sich herausstellt leben zwei Affengruppen in der Anlage und sorgen für mächtig Trubel. Ich könnte ihnen den ganzen Tag beim Klettern, Springen und Spielen zuschauen. Die kleinen Racker sind allerdings nicht ganz ohne. So wird Philipp ohne Handyhülle nach Hause fliegen. In einem Augenblick der Unaufmerksamkeit wird sich einige Tage später einer der Affen sein Handy schnappen und auf eine Palme entführen. Glücklicherweise wird die Hülle für ihn interessanter sein, sodass er das Handy aus einigen Metern wieder fallen lassen und es unbeschadet auf dem weichen Boden landen wird.
Den restlichen Tag verbringen wir in der Anlage. Nach der langen Reise verlieren wir komplett das Gefühl für Raum und Zeit. Letztere scheint hier stillzustehen. Ruhe und Idylle pur. Doch ein weiterer Kontrast lässt nicht lange auf sich warten. Unser kleiner Strandspaziergang wird durch einen Wolkenbruch unterbrochen. Es schüttet wie aus Kübeln. Nach ca. 1 Stunde ist der Spuk vorbei. Die Wolken verschwinden und die Sonne sticht wieder. Auch dieses Phänomen wird uns die ersten Tage noch mehrfach begleiten. Genauso wie die unfassbar schönen Sonnenuntergänge.
Erst gegen Abend machen wir uns Gedanken über den nächsten Tag. Khalid, der Gründer des Racket Table Tennis Club Zanzibar und inzwischen Vorsitzende des zanzibarischen Tischtennisverbands hat gemeinsam mit den Kims für das Wochenende ein Tischtennis-Trainingscamp für Kinder und Jugendliche in der Eden School organisiert. Die Einladung und den straffen Zeitplan haben wir im Vorfeld erhalten und sind gespannt wie das Ganze ablaufen wird. Khalid wird erst am späten Nachmittag des Folgetags anreisen, da er inzwischen aus beruflichen Gründen auf der Nordinsel lebt und leider nicht die ganze Zeit bei uns bleiben kann.
Mein Blutdruck steigt nach dem erholsamen Ankommen dann doch schnell um Einiges an. Ich liege bereits im Bett und kläre ab, wann wir am nächsten Tag vor Ort sein sollen. Wir hatten verstanden, dass wir als „Gäste“ des Trainingscamps unterstützen würden, nicht aber eine durchführende Rolle hätten. Zunächst denke ich, es sei ein Scherz als Khalid über unsere WhatsApp Gruppe meint, dass wir von Beginn an dabei sein sollen und man sich auf unsere Expertise und Führungsrolle verlassen würde. Doch offensichtlich meinen es er und Mr. Kim ernst. Sie gehen tatsächlich davon aus, dass wir die Leitung übernehmen werden. Philipp kann mit seiner Erfahrung aus vielen Lehrgängen selbstverständlich auch kurzfristig qualitativ hochwertige Übungen aus dem Ärmel schütteln. Aber will er das im Urlaub? Ohne jegliche Vorbereitung? Ohne eine Idee mit welchem Spielniveau wir es überhaupt zu tun haben? Mir fehlt dazu einfach das Wissen. Ich bin kein Trainer und ein schlechtes Vorbild, was Technik angeht. Daher habe ich ein ungutes Gefühl, ob wir die hohen Erwartungshaltungen erfüllen können. Letztlich kann ich unseren Standpunkt klarmachen und wir finden einen guten Mittelweg. Auch Philipp ist am nächsten Morgen entspannt, als ich ihn von dem Missverständnis berichte. Er hat bereits einige Ideen und auch mir fallen einige Spiele und Übungen ein. Und so machen wir uns am Freitagmittag auf den Weg in die Halle.
Steven holt uns im Hotel ab. Das Spiel zwischen Sonnenschein und Starkregen macht uns den Abschied vom Pool und den Ausblick auf einen Tag in der Halle erträglicher. Steven wird sich daran gewöhnen müssen, dass er auf uns warten muss. Während ich pünktlich bin, verzögert es sich bei Annika und Philipp. Wie ich in den kommenden Tagen lernen muss, liegt dies überwiegend an Letzterem. Er hat einfach die Ruhe weg und passt sich automatisch der entspannten Lebenseinstellung hier an.
Nach ca. 20 Minuten Fahrt erreichen wir das Schulgelände. Der letzte Kilometer führt über eine der schlaglochreichen Seitenstraßen. Die Gebäude und kleinen Läden entlang der Straße geben uns einen ersten Eindruck wie das Alltagsleben auf Zanzibar aussieht. Es ist ein hartes und einfaches Leben und nicht mal ansatzweise mit unseren Lebensstandards zu vergleichen. Die Kinder spielen auf der Straße, Alltagsdinge dienen als Spielzeug. Sie sind unvorstellbar weit weg von dem Luxus und Überfluss, in dem unsere Kinder aufwachsen. Dennoch, sie lachen und haben Spaß. Manchmal kann Weniger auch Mehr sein.
Die Halle liegt direkt neben den Schulgebäuden. Einige Jugendliche und Kinder spielen sichin der Halle bereits ein, die anderen sind noch beim Essen. Wie begrüßen sie und nehmen noch eine spürbare Zurückhaltung wahr. Sie wissen genauso wenig, was sie erwarten wird, wie wir. Wir sind tief beeindruckt von der Halle über die wir später noch mehr erfahren werden. Steven führt uns im Anschluss durch die Gebäude der Schule. Es ist beeindruckend, was seine Eltern hier auf die Beine gestellt haben. Die Klassenzimmer wirken alle sehr ansprechend und gut ausgerüstet. Ein neuer Trakt wurde kürzlich erst eröffnet und wird nach den Ferien im Januar erstmalig genutzt. Die Schulgebühren sind gering und viele Schüler/innen erhalten sogar Stipendien, was ihnen einen kostenlosen Schulbesuch ermöglicht. Steven stellt uns seine Eltern vor und gemeinsam essen wir zu Mittag ehe wir zurück in die Halle gehen. Endlich lerne ich einige der Spieler kennen, mit denen ich schon seit Beginn meiner Unterstützung teilweise in direktem Kontakt stehe. Zu diesen zählen Khamis und Omar. Später wird auch Nylon aka Mr. Chicken dazustoßen. Alle haben sich schon seit Monaten auf uns gefreut und können es bis zum Schluss nicht glauben, dass wir wirklich gekommen sind. Sie alle sind große Tischtennisfans. Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov stehen bei ihnen ganz hoch im Kurs. Nach dem Lehrgang wird auch Philipp eines ihrer Idole werden.
Wir kommen alle in einem großen Kreis zusammen. Mr. Kim leitet das Camp mit einer kleinen Rede ein und stellt uns kurz vor. Nicht wissend, dass er damit einen Running Gag kreiert, stellt er Philipp und mich namentlich, Annika hingegen mit „Others“ vor. Wie sich im Nachhinein herausstellt, wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht, ob Annika ebenfalls mitspielen und trainieren wird. Vermutlich ist ihm auch ihr Name entfallen, weshalb Annika von nun an im kleinen Kreise nur noch liebevoll „Others“ genannt wird. Aus Philipp wird schnell „Mr. Philipps“. Und auch wenn ich versuche das „Mr.“ wegbekommen, bleibe ich für die Meisten „Mr. Jan“. Dies ändert sich erst mit der Ankunft von Khalid, der mich solange Jan „Schmuuuuuda“ nennt bis ich es ihm abgewöhnen kann. Bis zu seiner Ankunft vergeht aber noch einiges an Zeit. Die Kinder und Jugendlichen stellen sich ebenfalls vor. Rund die Hälfte ist Mitglied des Racket Table Tennis Club Zanzibar und gehört zu den Fortgeschrittenen. Die andere Hälfte bilden Schüler/innen der Eden School bzw. Anfänger/innen aus der Umgebung. Ihr Englisch ist sehr gut und einer der Anfänger lässt auch gleich wissen, dass er der beste Tischtennisspieler der Welt werden will. Diese Einstellung gefällt mir. Die Anfänger werden von Mr. Kim und Steven trainiert. Philipp, Annika und ich kümmern uns um die Fortgeschrittenen. Philipp hat schnell erkannt, dass die Vorhand der Kids bereits gut, die Rückhand aber ausbaufähig ist und konzentriert sich darauf. Er zeigt ihnen Übungen, die sie später ebenfalls nutzen und weitergeben können. Hilfe zur Selbsthilfe. Alle hören gebannt zu und sagen das Wissen auf. In der Halle ist es warm, ich schwitze bereits nach wenigen Minuten. Die hohe Luftfeuchtigkeit aufgrund des Regens tut ihr übriges. Gewöhnungsbedürftig sind auch die Bälle. Sie fliegen uns krumm entgegen als würde jemand mit der langen Noppe im Störspiel aktiv. Es liegt an der Qualität der Bälle, die größtenteils eiern. Es bedarf einer gewissen Anpassung, aber wir kommen klar. Uns war bewusst, dass der Mangel an Equipment eine der Hauptherausforderungen vor Ort ist.
Zum Abschluss des ersten Tages spielen wir Rundlauf auf dem 4er-Tisch. In dem normalen Trainingsraum des Racket Table Tennis Club – ca. 1h Fahrt entfernt- wäre dies nicht möglich. Weder die vorhandene Anzahl der Tische noch die Größe des Raums würden dies erlauben. Alle haben sichtlich Spaß und stellen sich sehr gut an.
Khalid hatte sich gewünscht, dass Steven und ich ihn am Flughafen abholen. Da wir aber schließlich auch das Training leiten sollen, vergessen wir völlig die Zeit und schauen nicht auf unsere Handys. Khalid steht im wahrsten Sinne des Wortes am Flughafen im Regen und wartet auf seine Abholung, was ihn offensichtlich ziemlich wurmt. Steven macht sich auf den Weg und mit etwas Verspätung kommt Khalid strahlend in die Halle. Man sagt kleineren Menschen ja oftmals nach, dass sie ihre Größe irgendwie kompensieren müssen. Khalid macht dies un/-bewusst über seine Art und Weise. Er redet viel, er redet laut, nimmt sich auf eine gewisse Art und Weise wichtig, zeigt Präsenz, ist dabei aber unfassbar witzig und strahlt die ganze Zeit über beide Ohren. Aber das sind nur einige der vielen Facetten von Khalid. Er kann auch leise und bedacht sowie sehr empathisch sein. Seine mitfühlende Art durfte ich bereits vor unserem Treffen kennenlernen und die spätere Begegnung mit seinen ehemaligen Schülerinnen zeigt eindrücklich, welch Stellung er hat. Er war nicht nur Lehrer, sondern auch Mentor, Vaterersatz und Freund. Seine ehemaligen Schüler/innen sind ihm genauso ans Herz gewachsen wie seine Spieler/innen. Sie vermissen ihn sehr seit er vor einigen Wochen auf die Nordinsel gezogen ist. Er kümmert sich und das schätze ich sehr an ihm.
Kaum angekommen, will er auch gleich an den Tisch und selber spielen. Endlich ist es soweit, wir duellieren uns. Wir spielen auf zwei Gewinnsätze und was soll ich sagen, er verliert recht deutlich. Er habe nicht viel trainieren können. Und außerdem würde ich irgendwie verhext spielen, wofür er das TSG Steinheim Vereinsmaskottchen „Steppi“ verantwortlich macht. Doch auch gegen Annika sieht er keine Sonne und ist zumindest spielerisch erstmal bedient.
Wir möchten den Abend mit ihm verbringen und die wenige gemeinsame Zeit an diesem Wochenende nutzen. Da wir noch etwas aus dem Supermarkt benötigen, machen wir uns zunächst auf den Weg dorthin. Steven, Khalid, Annika, Philipp und ich… Ja genau, der Afrikaner, der Koreaner und die drei Deutschen vom Beginn… Laut Steven würde der Supermarkt auf dem Weg liegen. Erst in den nächsten Tagen bemerken wir, dass wir einen gewaltigen Umweg fahren mussten. Asiatische Höflichkeit. Im Supermarkt wird schnell klar, Khalid liebt Äpfel und Red Bull. Analog der Kinder in Deutschland, die sich die Milchschnitte schon auf dem Weg zur Kasse gönnen, genießt Khalid sein Red Bull und den Apfel noch vor dem Bezahlen.
Auf dem Weg zurück ins Hotel kommt es zu der besagten Begegnung mit seinen ehemaligen Schülerinnen. Bis Ende Oktober war Khaild Lehrer an einer privaten Schule ehe er sich auf einen Posten im Staatsdienst beworben hat und auf die Nordinsel Pemba gezogen ist. Er musste nicht nur seine Schüler/innen hinter sich lassen, sondern auch den Racket Table Tennis Club. Letzterer ist inzwischen in den Händen seines Schützlings Khamis gut aufgehoben. Als die Mädchen Khalid in dem Auto auf dem dunklen Parkplatz erkennen, stürmen sie auf uns zu, rufen seinen Namen und freuen sich lautstark. Sie vermissen ihn spürbar und es beruht auf Gegenseitigkeit. Die Begegnung ist kurz, aber unfassbar intensiv. Sie bestätigt auf emotionale Weise seine Verbundenheit und sein Verhältnis zu den Mädchen. Wie er uns mitteilt, schlafen diese auch in der Schule. Viele von ihnen seien Waisen.
Im Hotel angekommen wird relativ schnell klar, dass zumindest Khalid der festen Überzeugung ist, dass er die Nacht hier verbringen wird. Was für ihn selbstverständlich scheint, muss ich allerdings erstmal mit der Hoteldirektorin abstimmen. Es stellt aber kein Problem dar. Khalid darf bleiben und wir quartieren ihn für die Nacht in meinem Bungalow ein. Doch zunächst laden wir ihn zum gemeinsamen Abendessen ein. Mit Blick auf die Menükarte stellt er die Frage: „Where is octopus? I want octopus“. Neben Red Bull und Äpfeln offensichtlich eine seiner Lieblingsspeisen und sehr beliebt auf Zanzibar. Nachts sind viele Bewohner mit Lampen im Watt unterwegs, um die Tiere aufzuspüren und zu fangen. Es dauert eine Weile bis wir ihm klar machen können, dass dies kein klassisches Restaurant ist und er lediglich zwischen den drei Hauptgängen des Tages auswählen kann. Diese finden aber ebenfalls Anklang bei ihm und er ist zufrieden.
Der Abend wird lang, die Nacht kurz. Wir lernen viel über den Menschen Khalid, seine Werte, seine Scheidung, seine Tochter, seine Ansichten u.v.m. kennen. Vieles deckt sich, in anderen Punkten unterscheiden wir uns. Kontraste eben. Die Religion und das aus westlicher Sicht inzwischen veraltete Rollenbild eines dominierenden Mannes spielen hier mit rein. Wir tauschen uns aus und diskutieren, maßen uns aber nicht an von richtig oder falsch zu sprechen. Man merkt Khalid deutlich an, dass ihn die Scheidung verletzt und er viel Vertrauen verloren hat. Dies spiegelt sich auch in der Dauer seiner Ausführung wider. Er wolle es kurz machen, aber gefühlt redet er rund eine Stunde ausschließlich darüber. Es ist ihm wichtig. Und auch wenn die Müdigkeit uns übermannt, hören wir ihm zu. Gegen 2 Uhr nachts sind wir allerdings so müde, dass wir uns verabschieden und zu den Bungalows gehen.
Dort sagt Khalid mir plötzlich, dass er in der Dusche etwas bemerkt habe. Ich gehe sofort von irgendeinem ungebetenen Tier aus, da mich Geckos bereits häufiger besucht hatten und stelle auf leichten Panikmodus. Doch es geht gar nicht darum. Es geht um den Mischhebel der Dusche. Ich hätte ja „Warmwasser“… und erschrecke. Für uns normal, für ihn nicht. Kontraste…
Am nächsten Morgen muss Khalid schon früh raus, während wir erst gegen Mittag im Trainingcamp aufschlagen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das Vormittagstraining eigenständig durchgeführt wird. Auch beim Nachmittagstraining sollen die lokalen Trainer die Leitung übernehmen. Philipp wird sich das Ganze anschauen und ihnen Hilfestellung geben. Beim Frühstück ergibt sich ein ähnliches Bild wie am Abend. Vieles für uns Normales und Selbstverständliches ist neu für Khalid. Er nimmt sich wie ich Joghurt. Ich mixe meinen mit Müsli und Obst. Er tut dies ebenfalls, jedoch landen bei ihm auch der gemischte Salat und Oliven darin. Bei letzterem denkt er, dass es sich um Trauben handelt und spuckt sie aus als er auf den Kern beißt.
Am Nachmittag halten wir eine weitere gemeinsame Trainingssession ab. Zu guter letzt dürfen sich alle Kids beim Süßigkeitenabschießen austoben. An vier Tischen werden ihnen jeweils immer zwei Bälle von uns zugespielt. Rollierend geht es nach Beendigung aller Schläge wieder von vorne los. Das Ziel: die Süßigkeiten auf der anderen Tischseite abschießen. Am Ende bleibt noch einiges an verpackter Schokolade wie auch unverpackten M&M’s übrig. Wir möchten diesen Rest verteilen, doch Khalid warnt uns eindringlich. Die Kids sollen sich lieber in einer Reihe aufstellen und dann nacheinander jeweils eine Schokolade und zwei M&M’s nehmen. Es funktioniert einwandfrei. Als am Ende doch noch einige M&M’s übrig bleiben und ich die Schüssel mit den Worten hinhalte, dass sie sie sich einfach nehmen können, erlebe ich die Konsequenzen aus Khalid’s Warnung. Einige der Kinder stürmen auf mich zu und reissen mir die M&M’s förmlich aus der Hand. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, aber erschrecke doch ein wenig. Khalid hat uns von vielen Kindern erzählt, die morgens ohne Frühstück in die Schule gehen. Kinder, die kein Geld erhalten, um sich unterwegs etwas zu kaufen. Kinder, die nach Hause kommen und auf die niemand wartet, da die Eltern arbeiten oder sie vielleicht sogar Halbwaisen sind.
Umso froher bin ich im Nachgang darüber, dass unsere Gastgeschenke hinter verschlossener Tür ausgegeben werden. Die Rucksäcke, Schlägerhüllen und Zirkelsets waren ausschließlich für die Mitglieder des Racket Table Tennis Clubs gedacht. Die anderen Kinder wären sicherlich neidisch bzw. traurig gewesen, wenn sie die anderen damit gesehen und keine bekommen hätten.
Vom späten Nachmittag bis zum frühen Abend machen wir noch etliche Spiele gegen die älteren Kinder und Jugendlichen. Khalid drückt dabei immer aufs Gaspedal, schließlich wollen wir den Abend noch gemeinsam in Zanzibar-Stadt ausklingen lassen. Familie Kim möchte uns auf dem berühmten Foudhani-Foodmarket zum Essen einladen. Während Khalid also typisch deutsch auf die Uhr starrt, spielen wir unbekümmert weiter. Insbesondere Ammar, der erst später dazugestoßen ist, liefert sich ein Spiel nach dem anderen mit Annika. Er genießt es sichtlich mal mit Anderen spielen und sich verbessern zu dürfen. Offensichtlich haben wir die afrikanische Gelassenheit schon voll adaptiert, doch irgendwann beugen wir uns dem Druck von Khalid. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel zum Duschen und Umziehen geht es nach Zanzibar-Stadt. Khalid ist mit Stevens Eltern bereits vorgefahren. Wir kommen mit Steven nach. Der Foodmarket liegt an der Promenade und hier bieten ca. 30 Stände lokales Essen und Getränke an. „Alles gut. Langsam, langsam, Lecker, lecker“ werden zu geflügelten Worten, sobald wir erwähnen, dass wir aus Deutschland kommen. Das Essen ist nicht nur lecker, es wird für die einfachen Gegebenheiten auch sehr ansehnlich zubereitet und angerichtet. Während wir das Essen holen, hält Khalid die Stellung und unsere Sitzplätze frei. Sein erster Kommentar nachdem wir zurückkehren lautet: „Where is my octopus? I ordered octopus!“. Er soll ihn bekommen. Und natürlich hat er auch seinen bestellten Apfel erhalten.
Den Abend wollen wir nach dem Essen noch nicht beenden und so ziehen Khalid, Ammar – der nachgekommen ist – Annika, Philipp und ich noch weiter. Wir landen zunächst in einem Club, in dem wir es nicht allzu lange aushalten. Es ist nicht ganz unser Klientel. Hier treffen sich eher ältere westliche mit jüngeren afrikanischen Semestern. Mal sind die einen jung und die anderen alt, mal andersrum. Die Konstellationen sind teilweise schon sehr fraglich, aber beide Seiten sind sich offensichtlich darüber bewusst, was sie tun und somit ist nichts verwerfliches daran.
Die direkt nebenan gelegene Rooftop-Bar spricht uns da schon mehr an und wir machen uns auf den Weg ins Nachbargebäude. Vor dem Ausgang grüßt mich namentlich ein junger Mann. Ich grüße im Vorbeigehen ungläubig und fragend zurück. Er macht eine Bewegung als würde er eine Kapuze aufsetzen und möchte damit wohl irgendetwas andeuten. Bis heute weiß ich nicht, wer es gewesen ist. Am Naheliegendsten ist, dass es sich um einen Spieler gehandelt hat. Aber dieser hätte doch erst recht den Anderen auffallen müssen. Vermutlich werde ich es nie erfahren.
Die Tanzfläche der Rooftop-Bar wird von einigen wenigen Tourist/innen bevölkert. Khalid ist darüber verwundert, dass wir nicht tanzen wollen. Ammar fühlt sich dort grundsätzlich falsch, Philipp und ich sind uns unserem (nicht vorhandenen) Tanztalent bewusst, Annika ist einfach nicht danach, sodass Khalid das Ganze selbst in die Hand nimmt und seinen Spaß hat. Einige westliche, offensichtlich schon stark angetrunkene Damen tun es ihm gleich, einige männliche Tanzbären ebenfalls. Khalid hat Spaß und Tanzen ist offensichtlich eines seiner vielen Talente. Er tanzt sich die Seele aus dem Laib. Auch wir amüsieren uns köstlich und so hätte es auch enden können. Doch der Schock kommt für Khalid aus dem Nichts als zwei Touristinnen sich an der Bar sichtlich näher kommen. Mit den Worten „This is the end of the world“ ist Khalid geschockt und ihm ist nicht mehr nach tanzen zu Mute. Kontraste…
Dennoch gehen wir noch in einen weiteren Club, der auf der anderen Straßenseite direkt am Strand liegt und vermutlich von Beginn an die beste Wahl gewesen wäre. Allzu lange bleiben wir aber nicht mehr. Wir sind alle müde. Mitten in der Nacht suchen wir also ein Taxi, das uns zu einem vernünftigen Preis zurück ins Hotel bringt. Khalid übernachtet bei Ammar, der in Zanzibar-Stadt lebt. Die beiden finden schließlich einen Fahrer für uns und handeln einen guten Preis aus. Wir sind uns allerdings nicht ganz sicher, ob er weiß, wo wir hinmüssen und ob wir jemals ankommen werden. Sein Englisch ist schlecht bis nicht vorhanden, sein Auto würde es in Deutschland nicht mal aufs TÜV-Gelände schaffen. Aber er macht nun mal einen unschlagbar guten Preis und so steigen wir ein. Die Fahrt soll uns zunächst einmal zu einer Tankstelle führen. Er muss tanken. Nachdem die erste Tankstelle kein Benzin mehr hat und die zweite geschlossen ist, wird uns schon ein wenig Angst und Bange. Doch die dritte hat offen und Benzin vorrätig. Die Fahrt über Land wird dann ein weiteres Abenteuer. Die Lichter unseres „Taxis“ taugen im besten Fall als Tagfahrlichter. Eigene sowie die Überholmanöver anderer Verkehrsteilnehmer werden durch das Betätigen der Warnblinkanlage begleitet, um Licht zu erzeugen und einen Abstand zum Fahrzeug in der stockdunklen Nacht zu ermöglichen. Ganz wohl fühle ich mich nicht. Es sind noch sehr viele Menschen unterwegs. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, Motorroller etc.. Beleuchtung, Reflektoren etc., Fehlanzeige. Ich denke an Stevens Aussage, dass man im Falle eines Unfalls nicht mit Hilfe rechnen solle… Kontraste.
Wir kommen dennoch sicher an und der Fahrer ist sichtlich dankbar und glücklich, da wir ihm statt der vereinbarten 20.000 Shilling, 30.000 Shilling geben. Für uns kein Thema, für ihn bedeutet es viel. Wir werden ihn nicht das letzte Mal sehen. Die letzten 300m zum Hotel gehen wir zu Fuß. Vermutlich wären die Achsen seines Autos in den Schlaglöchern eh gebrochen. Unsere Handys sorgen für ausreichend Licht und dennoch für eine Begegnung der dritten Art. Ich meine zunächst am Wegesrand eine hockende Person zu erkennen und mein beginnt stärker zu pochen. Als diese dann plötzlich auch noch schnauft, erschrecken wir umso mehr. Im gleichen Atemzug erkennen wir aber, dass es sich nur um eine Kuh handelt. Diese scheint von der nächtlichen Störung wenig begeistert und steht umgehend auf, weshalb wir unsere Füße in die Hände nehmen. Der Wächter am Tor schläft auf seiner Liege bereits tief und fest, macht uns aber ebenso wie der zweite Wächter an der Rezeption ohne Murren auf.
Am Folgetag werden wir zum Mittagessen bei den Kims eingeladen. Ein weiterer, uns angepriesener Taxidienst, legt einen unverschämt hohen Preis für die Fahrt zur Schule auf. Am Ende landen wir wieder bei unserem Freund vom Vorabend. Dieser gabelt zunächst Khalid unterwegs auf, holt anschließend uns ab und fährt uns dann zu den Kims. Dort genießen wir die Gastfreundschaft und lernen viel über ihre Wohltätigkeitsorganisation und die Schule kennen. Zudem müssen wir staunend anerkennen, dass Mr. Kim nicht nur die Halle eigenhändig gebaut hat, sondern auch einen Großteil der Tischtennistische. Es ist beeindruckend und tut so gut Menschen wie die Kims zu treffen, die sich für andere Menschen dermaßen selbstlos engagieren. In diesem Augenblick entscheide ich mich dafür, den Kims nach meiner Rückkehr nach Deutschland eine Spende für ihre Arbeit zukommen zu lassen.
Es ist ein sehr schöner Mittag, den wir bis zum Schluss genießen. Am frühen Nachmittag fährt Philipp zurück ins Hotel zu Annika, die uns dieses Mal nicht begleitet hat; natürlich mit unserem neuen „Taxifreund“. Mr. und Mrs. Kim bringen gemeinsam mit mir Khalid zum Flughafen. Der Abschied von ihm fällt kurz, aber herzlich aus und ich rechne nicht damit, schon in wenigen Minuten wieder von ihm zu hören. Er meldet sich telefonisch bei Mr. Kim und möchte mich sprechen. Er habe seinen Flug verpasst und bittet mich, ihm etwas Geld zu übersenden. Den Hinflug und den verpassten Rückflug hatte ich ihm bereits finanziert. Ansonsten hätte er keine Möglichkeit bekommen uns überhaupt zu treffen. Gesagt, getan und glücklicherweise funktioniert alles, sodass er den nächsten Flug nehmen kann.
Mit der Ankunft im Hotel endet für mich somit zumindest der Tischtennispart meines Trips. Aber es sollen noch viele weitere schöne Urlaubsmomente folgen.
Eigentlich möchten wir keine typische Touristenattraktionen mitnehmen, entscheiden uns dann aber doch an einem Ausflug teilzunehmen. Das Ganze wird als „Blue Safari – The real one“ und „Safari Blue – The Original“ angepriesen. Auch unser Hotel bietet eine ähnliche Tour an. Am Ende ist es aber überall im Großen und Ganzen das Gleiche. Die Bootstour wird mit einem Stopp auf einer Sandbank, einer Lagune, einem Schnorcheltrip sowie einem Seafood-Barbeque auf einer vorgelagerten Insel beworben. Die Boote starten rund 800m von unserem Hotel entfernt. Stevens Familie kennt eine der Organisatorinnen und wir erhalten einen ermäßigten Preis. Die Bekannte der Kims kommt von den Philippinen, nimmt uns in Empfang und bringt uns zum Einstiegsort. Aufgrund der Ebbe müssen wir an einem anderen Ort die Boote besteigen und vorher durch das hüfthohe Wasser warten. Wir würden keine Wasserschuhe benötigen. Ein Trugschluss wie mir wenig später klar wird als ich einige kleiner dunklere Stacheln in meinem Fuß bemerke. Mit sehr vielen anderen Touristen besteigen wir nacheinander die ankernden Holzboote. Insgesamt sind es ca. 10 bis 15.
Die Fahrt ist angenehm, das Wasser ruhig. Die viel umworbene Sandbank ist traumhaft…, wären da nur nicht so viele andere Menschen. Jede Bootsbesatzung schlägt kleine behelfsmäßige Schattenspender auf. Wir werden freundlich von einem Händler empfangen, der uns ein kühles Bier oder alternativ Marihuna anbietet. Offensichtlich gelten die stark muslimisch geprägten Werte auf der Sandbank nicht. Wirklich wohl fühle ich mich nicht und kann auch nicht entspannen. Das frisch geschnittene Obst und die Kokosnüsse sind aber lecker und eine kleine Entschädigung. Nach rund einer 3/4 Stunde geht es einige hundert Meter weiter zum Schnorcheln. Die Schnorchelausrüstung ist ihren Namen nicht wert, aber dient dem Zweck. Die Fische werden zum Teil angefüttert. Eine magische bunte Wasserwelt erlebe ich leider nicht. Dennoch kann ich viele unterschiedliche Fischarten erkennen. Auch hier geht es nach rund 30 Minuten weiter und wir fahren zu einer Lagune. Same Procedure as before. Ohne die anderen Touristen wäre es dort traunhaft, wobei sich die Meute hier gut verteilt. Und weiter geht’s zur Hauptinsel und dem Seafood-Barbeque. Wir sitzen in einer Art Ausflugshütte und sind gespannt auf unser Essen. Wieder kommen Händler und bieten uns Bier an. Unsere Tourguides bemühen sich, wirken aber etwas hilflos. So wie kleine Jungs, die erstmals für ihre Eltern kochen. Wir bekommen Pappteller und Plastikbesteck. Zunächst gibt es Pommes, dann zeitversetzt Reis, wieder zeitversetzt Soße, nochmals zeitversetzt das erste Seafood und zum Schluss Hummer. Das Essen schmeckt wider Erwarten gut. Wäre alles gemeinsam auf einem Teller angerichtet, wäre es auch etwas fürs Auge gewesen. Im Nachgang wird uns Kaffee angeboten, den wir aber extra zahlen müssen. Ich sage nicht nein und bekomme für 1 USD einen Mini-Becher, der vermutlich nicht mal einem Espresso entspricht. Annika und Philipp lachen sich schlapp. Ich drücke dem Verkäufer umgerechnet 2,70 Euro in die Hand, der sich mit der Begründung verabschiedet, dass er das Geld wechseln muss. Ich gehe nicht davon aus, dass ich ihn jemals wiedersehen werde und genieße meinen XXS-Kaffee, während Annika und Philipp vom wohl teuersten Kaffee sprechen, den ich je getrunken habe. Nach rund 10 Minuten steht ein bekanntes Gesicht neben mir und gibt mir mein Wechselgeld. So kann man sich täuschen.
Die Insel bietet ansonsten nicht allzu viel. Die rund 20 Läden am Strand haben alle die gleichen Souvenirs in der Auslage. Aber es soll noch noch ein Highlight auf uns warten: der große, begehbare Affenbrotbaum. Wir sind gespannt, zumal wir einen in unserer Bungalowanlage haben, auf dem eine kleine Aussichtsplattform gebaut ist. Der Baum ist riesig und begehbar. Aber alles um ihn herum, wirkt alles andere als einladend. Auf der einen Seite mal wieder Souvenirs, auf der anderen Seite Dreck und der Geruch nach dem nahegeliegenden Toilettenhäuschen. Ein kleiner Pfad neben dem Baum führt zu einer Mini-Müllhalde mitten im Wald. Offensichtlich wird hier Müll zwischengelagert und zum Teil verbrannt. Kontraste. Bei unserem kleinen Rundgang sehen wir auch, wo unser Essen gekocht wurde. Es handelt sich lediglich um bedachte Feuerstellen, wenige Meter hinter den Ausflugshütten im Gebüsch. Für diese Umstände war es wirklich sehr lecker.
Gegen 15 Uhr brechen wir auf und fahren zurück. Aus der Ferne sehen wir kurzzeitig noch ein paar Delfine. Damit hätten wir das auch abgehakt. Denn eigene Delfintouren werden auch angeboten…
Das absolute Highlight unserer Reise erwartet uns am Donnerstag in Kendwa, im Norden der Insel, ca. 1:45 h von unserem Hotel entfernt. Fast genauso aufregend wie der eigentliche Grund für die Fahrt, ist die Anreise dorthin. Natürlich haben wir wieder unseren neuen Freund, den Taxifahrer, engagiert. 100.000 Shilling für den ganzen Tag ist ein unschlagbarer Preis. Wir müssen um 10:00 Uhr da sein, der Fahrer soll uns daher um 08:15 Uhr abholen. Natürlich sind wir wieder spät, aber der Taxifahrer ist nicht da. Wir warten an der Hauptstraße und werden aufmerksam von den Einheimischen beäugt. Da die Kommunikation immer via Khalid läuft, der Fahrer besitzt kein Smartphone, bin ich auf eine Datenverbindung angewiesen. Diese funktioniert leider nicht immer stabil. Sprachanrufe funktionieren ebenfalls nicht. Irgendwann laufe ich zurück zum Eingangstor und rufe mit dem Telefon des Sicherheitsbeamten bei Khalid an. Der Fahrer sei auf dem Weg heißt es. Als ich zurückkomme, steht plötzlich ein anderes Taxi dort und eine alte Bekannte. Es ist die Bekannte der Kims von den Philippinen. Ihr Taxifahrer würde uns helfen und auch fahren. Wir entscheiden uns dennoch zu warten. Letztlich kommt unser Freund ca. 1h zu spät. This is Africa.
Ich bin leicht angefressen, aber die Jungs und Mädels von unserem Ziel sind entspannt als ich sie über die Verspätung informiere. Die lange Fahrt nach Kendwa wird durch die Musik von Philipps Handy und seiner Musikbox versüßt und führt uns erstmal wieder an die Tankstelle. Die Tanknadel verändert sich zunächst nicht wirklich, aber er wird es schon wissen. Wir stellen fest, dass unser Fahrer insbesondere in Zanzibar Stadt nicht nur etliche Schleichwege kennt, sondern auch gefühlt an jeder Ecke irgendwelche Leute, die er grüßt. Wir sehen viele „Geschäfte“ und Läden, unzählige Wellblechhütten und erleben im Vorbeifahren den Alltag der Menschen. Es ist alles so ganz anders.
Offensichtlich kennt der Fahrer auch viele Polizisten. Je näher wir Kendwa kommen, desto höher wird die Dichte an Kontrollen. Ca. 500m vor dem Ziel erwischt es dann auch uns. Der Polizeibeamte macht sich offensichtlich Sorgen um uns und fragt, ob es uns gut gehen würde, wo wir herkämen und hinmöchten etc.. Der Fahrer und die Polizeibeamten diskutieren und wir stellen uns die Frage, ob wir für die Rückfahrt vielleicht ein anderes Taxi benötigen. Nach 10 Minuten geht es weiter, laut der Hand und Fuß Kommunikation mit dem Fahrer sei alles ok und wir kommen an unserem Ziel an: Kendwa Rocks.
Bereits im Vorfeld der Reise habe ich mich informiert und einen Termin für die Erfüllung eines Kindheitswunsches ausgemacht: einen Fallschirm-Tandemsprung. Wenn nicht hier, wo dann. Mein „Höhenschwindel“ hat mir bis dato einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber dieses Mal will ich es und habe keine Sekunde Zweifel. Der Termin musste kurzfristig um einen Tag verschoben werden und fällt damit auf Philipps Geburtstag. Wer kann schon behaupten an seinem Geburtstag einen Tandemsprung auf Zanzibar gemacht zu haben? Annika und er überlegten zuvor lange, ob sie es auch wagen sollen. Sie entschieden sich dafür uns sollten es nicht bereuen.
Wir werden trotz einer Verspätung von ca. 1:15h herzlich willkommen geheißen und nach einer kurzen Instruktion sowie der Erledigung der Formalitäten geht es ganz schnell. Philipp und Annika machen den Beginn. Was wir nicht wissen und erst erfahren als die beiden bereits in der kleinen Propellermaschine sitzen und ich mein Sprunggeschirr anhabe: unser Taxifahrer muss nochmal zur Polizeistation und 20.000 Shilling Strafe zahlen. Khalid hatte verzweifelt versucht mich zwischenzeitlich zu erreichen. Erst nachdem der Fahrer vor mir steht und mir seine Situation erklärt, lese ich Khalids Nachrichten. Laut Khalid soll ich das Geld von der vereinbarten Gesamtsumme mit dem Taxifahrer abziehen. Selbstverständlich werde ich es nicht tun und die Strafe übernehmen. Aber dies teile ich dem Taxifahrer nicht mit.
Was den Sprung angeht, mache ich es kurz und bündig, er ist grandios. Die Aussicht auf Zanzibar bei sonnigem Himmel, der Rausch während des freien Falls, das ruhige Gleiten nach dem Öffnen des Schirm, es ist einfach unbeschreiblich und hat mich definitiv zu einem stärkeren Menschen gemacht und erfüllt mich mit Stolz. Insbesondere der Übergang vom freien Fall ins Gleiten ist übrigens mal wieder ein krasser … Kontrast.
Nach unseren Sprüngen telefoniere ich abermals mit Khalid und sage ihm, dass wir den Tag in Kendwa verbringen wollen. Er solle dies dem Fahrer ausrichten. Dieser kommt wenig später zurück von der Polizeistation und ich lade ihn im Strandrestaurant zum Essen ein. Wiederum mit Händen und Füßen erfahre ich, dass er keine Frau und keine Kinder hat und anscheinend früher Dalla-Dalla-Fahrer gewesen ist. Das sind Kleinbusse und eines der Hauptfortbewegungsmittel der Einheimischen. Dieser Fakt erklärt einerseits, warum er so viele Menschen auf der Insel kennt und beruhigt mich andererseits. Wenn er diese Kleinbusse gefahren ist, kennt er die Gegeben- und Gepflogenheiten des hiesigen Straßenverkehrs aus dem Nähkästchen.
Wir lassen es uns gutgehen, mieten Liegen, bestellen etwas zum Essen und Trinken anlässlich des Geburtstags von Philipp. Das Adrenalin vom Sprung wird noch eine Weile durch unsere Adern fließen. Der Strand ist wieder mal voller Kontraste. Weisser feiner Sand, keine Algen, ganz anders als an unserem Natur- und Hausstrand im Süden. Bei uns ist es ruhig, hier sind sehr viele Touristen. Und wo Touristen sind, sind auch die vielen Händler. Ich kann gar nicht so viele Ausflüge machen, Fotos mit Massais, Körbe oder Holzgiraffen kaufen wie dort angepriesen werden. Dies nervt ein wenig, kann diesen für uns ultrakrassen und aufregenden Tag aber nicht mehr schmälern.
Die lange Rückfahrt im Dunkeln ist aufgrund der bescheidenen Beleuchtung zwar wieder abenteuerlich, aber wir kommen sicher ans Ziel. Als unserem Fahrer klar wird, dass wir die Strafe voll übernehmen und er zusätzlich zu den vereinbarten 100.000 Shilling noch 40.000 Shilling Bonus bekommt, freut er sich überschwänglich und bedankt sich bei uns allen herzlich mit einer Umarmung und ich meine auch feuchte Augen vernommen zu haben. Ein weiterer dieser unvergesslichen Momente…
Im Hotel schaffen wir es noch zum Abendessen. Der Hunger ist nicht allzu groß, aber eine Kleinigkeit geht immer. Auf Philipp wartet noch eine Überraschung. Bereits 2 Tage zuvor durften wir erleben, wie ein Hotelgast ein Ständchen sowie einen kleinen Kuchen zum Geburtstag erhalten hat. Und schon bald hören wir aus der Küche die ersten Gesänge. Das Hotelpersonal macht sich auf den Weg und singt dabei. Philipp ist etwas verlegen, aber wir müssen lachen als wir den Namen auf seinem Kuchen lesen: „Philipp’s“. Fehlt nur noch das „Mr.“. Es ist der Abschluss eines wunderbaren und besonderen Tages.
Am Freitag wird es Zeit für mich in die Heimat aufzubrechen. Mein Flug geht erst am späten Abend. Wir nutzen die Gelegenheit uns am Nachmittag gemeinsam mit Steven Stone Town, die Altstadt von Zanzibar Stadt anzuschauen. Die vielen kleinen Gassen der Altstadt sind beeindruckend. Doch auch wieder: überall Kontraste. Unten Geschäfte, oben Wohnungen. Ein Gebäude ist symptomatisch für die Gegensätze. Es soll anscheinend ein Hotel werden. Die Front ist bereits vollständig restauriert und sieht mit den Holzschnitzereien malerisch aus. Die Seite stellt das genaue Gegenteil dar. Alt und verfallen. Es gibt noch viel zu tun.
Ich hadere wieder damit, dass alles auf Touristen ausgelegt ist und der eigentliche Charme nicht rüberkommt. Ein Laden liegt neben dem anderen. Überall gibt es die gleichen Souvenirs und jeder Verkäufer möchte, dass wir in seinen Laden kommen. Sie leben davon. Dafür habe ich Verständnis. Aber, es nervt trotzdem.
Wir bekommen dennoch noch einen Einblick in das einheimische Leben. Wir gehen zum eigentlichen Gewürzmarkt und landen kurze Zeit später beim Fisch- und Fleischmarkt. Eine durchgängige Kühlkette kann hier genauso wenig gewährleistet werden wie die Umsetzung von Hygienevorschriften wie in Deutschland. Kontraste eben. Aber, es funktioniert. Philipp macht noch eine Händlerin glücklich, die ein wenig Obst und Gemüse aus dem Eigenanbau verkauft. Eigentlich will er nur 2 Limetten kaufen, nimmt dann aber ca. 15 und somit alle. Vermutlich hat die Verkäuferin gerade mit einem Schlag ihren Tagesumsatz gemacht. Sie freut sich jedenfalls sichtlich und ist dankbar.
Wir lassen den Abend auf der Terrasse eines Restaurants direkt am Strand ausklingen. Unter uns spielen Jugendliche und Kinder Fußball. Der Sonnenuntergang ist wieder mal malerisch, das Essen sehr lecker. Ich genieße den Augenblick und sauge die Atmosphäre nochmal in mich ein, denn im Anschluss heißt es Aufbrechen in Richtung Flughafen. Nach einem gemeinsamen Abschlusskaffee in der Flughafenhalle gehe ich in Richtung Passkontrolle und Security-Check. Steven wird Annika und Philipp zurück ins Hotel bringen, da sie noch eine knappe weitere Woche bleiben.
Es gibt nur einige wenige Läden und in einem komme ich mit einer Verkäuferin ins Gespräch. Wie sich herausstellt hat sie von dem Tischtennis-Training-Camp Notiz genommen. Ihr Neffe sei Schüler in der Eden School. Ich solle sie und ihre Mutter informieren, wenn wir das nächste mal kommen. Sie würden Tischtennis lieben. Ich liebe es.
Der Preis für das Upgrade in die Business Class ist auch für den Flug von Zanzibar nach Doha unschlagbar und ich nehme es an. Auch dieses Mal komme ich schnell mit meinem Sitznachbar ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass er Hotelmanager einer Anlage an der Ostküste von Zanzibar ist. Wenn das mal kein Zufall ist…
Ich bin froh und dankbar, dass ich diese Reise gemacht habe bzw. machen konnte. Neben den Kosten nahm sie schließlich auch viel Zeit in Anspruch. Für letztere muss zudem die Familie mitspielen, was bei mir glücklicherweise der Fall gewesen ist. Was bleibt sind unbezahlbare Erinnerungen, Erfahrungen, Begegnungen, Eindrücke und natürlich Kontraste.
Tischtennis gepaart mit Offenheit verbindet. Herkunft, Hautfarbe, Alter, Religion, Kontostand spielten keine Rolle. Genau so sollte es sein. Auch wenn wir die Welt dadurch nicht retten werden, so können wir sie ein kleines bisschen besser machen. Die Unterstützung des Tischtennissport und der Menschen auf Zanzibar wird weitergehen und wir werden wiederkommen.